die perser

 

liebe und vertrauen. liebe ist, wenn er mir wehtut, wie ich es brauche, und vertrauen ist, dass ich mich darauf verlassen kann, dass er auf ein verabredetes zeichen hin damit aufhört, wenn es mir reicht. marie sagt das. sie ist vierundzwanzig. das schwarzfärben ihrer langen glatten haare hat sie vor fünf zentimetern aufgegeben. zusammen mit ihrem gleichaltrigen wehtuer studiert sie hier theaterwissenschaften. die perseraufführung, die wir vorhin zusammen besucht haben, hat beim publikum nur unechte emotionen hervorgerufen, findet der wehtuer. wohlfühltäterleiden, wie bei schindlers liste. anders als bei ihren eigenen performances. die sind rituale, also handlungen. das ist das, was der gesellschaft heute fehlt, rituale, sagt der wehtuer.

 

vorher, nachdem wir zwanzig minuten im leeren nordmünchen umsonst in der kälte vor der ehemaligen kaserne auf das taxi gewartet haben, nachdem der kulturreferent nicht auf die idee gekommen war, uns in seinem mitzunehmen, nachdem wir schon wieder nichts zu trinken gekriegt haben, weil diesmal der cateringcontainer gar nicht mehr offen hatte, als wir aus der aufführung kamen, und nachdem die ehrwürdige alte mit den schwarzen highheels nicht mehr aufgetaucht ist, haben wir uns mit der ebenfalls wartenden jungen marie ( in roten highheels ) und ihrem wehtuer das taxi ins blaue haus geteilt. der fahrer hatte am falschen eingang auf uns gewartet. an dem, den er aus der zeit kannte, als er in dieser kaserne wehrpflichtig war. jetzt ist hier die theaterbühne. jetzat san da flüchtlinge, lauter schwarze, sagt er. die waren auch mit dabei, bei den persern, manche zumindest. eine, genaugenommen. echt?

 

das blaue haus ist sehr voll, ein tatortkomissar und eine exkulturreferentin sind hier, aber keine premierenperser. verschwunden, wie xerxes heer, aber wohl noch nicht ertrunken. marie hat uns netterweise an ihren tisch gebeten, nachdem wir erst nicht so recht wussten, wohin. ihr wehtuer ist auch sehr freundlich und noch dazu ziemlich beschlagen. er zeigt uns nach ziegenkäseflan und gezwiebelter linsensuppe auf seinem iphone performancefotos. man sieht marie, nackt, mit schwarzem gaffertape gefesselt, umwickelt, sowie ihn mit einem messer, wie er sie nach und nach freischneidet. dafür ritzt sie ihm anschliessend mit einem rasiermesser den arm auf. das blut lässt er in ein wasserglas tropfen und trinkt es. eine biblische anspielung auf adams erste frau lilith, erklärt der wehtuer. die, die aus dem staub gemacht war. die gegeneva. morgen wird schon wieder eine neue performance aufgeführt. das eisenhaus. maiglöckchen und schneeglöckchen kann man leicht verwechseln, das ist das motto. sie, im weissen kleid, mit einem fünfzigkilogewicht am bein, wird dann wie gekreuzigt daliegen. er, mit sonnenbrille und kopfhörer, wie göring bei den nürnberger prozessen, wird fünfzehn meter entfernt von ihr sitzen. sie wird zu ihm hinkriechen, während das husarenlied aus kubricks wege zum ruhm zugespielt wird. macht ist das thema.

 

marie findet, dass eigentlich die frau die macht hat, weil was wäre der beherrscher ohne beherrschte. das ist wie beim blasen, sagt sie lächelnd zu mir. er steht dabei zwar und sie kniet, aber sie hat ihn in der hand, sozusagen. Sie lacht und freut sich über ihr gelungenes bild. in ihrer ersten gemeinsamen performance, vor einem halben jahr, hat sie ihn mit einer bambusrute ausgepeitscht. das publikum, das aus anderen theaterwissenschaftlern bestand, wurde zum mitzählen animiert, was es auch tat, bis es sich seiner rolle bewusst wurde. bei einundzwanzig ist dann einer rauf und hat marie die rute aus der hand genommen. der siebzehnte schlag war am schmerzhaftesten, sagt der wehtuer fröhlich. nette leute, die zwei. schade, dass es schon so spät ist.

 

das tal ist auch leer, aber voller taxis, und mein fahrer sieht aus wie ein perser. ich verzichte aber darauf, ihn nach seiner herkunft zu fragen. ich hab für heute keine fragen mehr.