Lebensengel


Ich sitze auf einem leeren Heuwagen, der von einem müden Pferd gezogen wird, rechts neben mir auf dem Kutschbock unsichtbar der Kutscher, man sieht nur die Zügel. Die Kutsche fährt eine unbefestigte Strasse eines armen Strassendorfes entlang. Die Strasse ist auf beiden Seiten mit einer Allee aus jungen, kugelig geschnittenen Ahornbäumchen gesäumt. Unter den Bäumchen stehen die Dorfbewohner, in schwarze Tracht gekleidet, lange Röcke bei den Frauen, die Männer tragen Westen. Alle haben Jungen jeglichen Alters an der Hand, barfuß, schwarze, zu kurze Hosen und weisse, schmutzige Hemden.

Von links oben kommt plötzlich ein Engel im Sturzflug ins Bild, er wirkt, als ob er jemanden aus höchster Not retten muss. Der Engel legt plötzlich die Flügel an, wie ein Vogel, die im Flug erschossen wird, und stürzt auf die staubige Strasse, wo er verblasst. Im Augenblick des Todes des Engels kippt der Kutscher tot ins Bild. Über den toten Kutscher schwenkt mein Blick sehr langsam 180 Grad nach rechts. Während des Schwenks erscheint über der Szene Hitler als Doppelbelichtung, er spricht emotionslos selbstzufrieden folgende Worte, die gleichzeitig in Sütterlin (die Hitler ja verboten hat) am unteren Sehrand durchlaufen:

“Wir werden ihre Lebensengel auslöschen, Strassenzug um Strassenzug.”

Der Blick nach Hinten zeigt die Strasse. Im Gefolge des Wagen sind kleine, runde Männchen, die mit Bundhosen, weissen Strümpfen, Schnallenschuhen, Wams und Halskrause gekleidet sind, sie tragen sehr hohe, zulaufende Hüte mit einer kleinen Ebene oben. Sie benutzen ein Gerät, das 4 mal so hoch wie die Männchen ist, Durchmesser so, dass es die Männchen mit beiden Armen umfassen müssen und das einen Füller ähnelt: Oben ein Messingrohr, dann ein Teil, das wie eine Stützsäule einer Dampfmaschine aus dem 18. Jhrt aussieht, am unteren Ende befindet sich eine birnenförmige Messingdüse. Die Männchen wuchten das Gerät den Jungen, die von den Eltern resigniert per Geste zum hinlegen gezwungen werden, mit der Düse in den Mund, was den Kindern das Gesicht eindrückt. Dabei lächeln die Männchen entrückt.

Hinter den Männchen laufen Ordenschwestern mit typischen, sehr breiten weissen Krempen. Sie beugen sich über die stummen Jungen mit den flehenden, angsterfüllten Augen und sagen liebevoll zu ihnen:

“Gleich wird dein Hunger gestillt sein, mein Liebling.”

Dann flössen sie den Jungen mit einem goldenen Löffel Flüssigkeit in die eingedrückten Münder, worauf wieder ein Lebensengel die Flügel anlegt und abgestürzt auf der Strasse verblasst.