Februartagebuch

 

01.

Geniess es! kommt es aus Deiner Gegenwart zurück in meine.

 

Eigentlich ja. Aber eigentlich ist eigentlich nein. Ich geniesse es, auch wenn ich grad glauben mag, dass es im wesentlichen vorbei ist für mich. Der eigentliche Teil jedenfalls, die biographische Pflicht. Wie könnte meine Kür jetzt aussehen? Das ist eigentlich nicht die Frage für einen Mann Mitte vierzig, Familienvater, berufstätig. Die Wahlmöglichkeiten sind klar und ausreichend bekannt. Ich bin nicht mal besonders gespannt, worauf es bei mir rausläuft, das Auslaufen. Meine Kür wird in jedem Fall unindividuell und gängig sein. Ich könnte jetzt zum Beispiel ein dicker Däne werden, der Euch erklärt, wie alles eigentlich funktioniert. Flüssige Gläubige sind leicht zu finden. Das Richtige und Angemessene würd ich raten, mit Humor, für Geld, damit die Welt besser wird. Könnte mir gefallen.

 

Massvoll besonnt er seinen Mikrokosmos.

 

Ist gut, hör auf.

 

Ich hab aber das Menschsein eher satt, momentan, vor allem an mir selbst. Ich hab den Fortschritt gesucht und erwartet, aber es gibt wohl keinen Fortschritt, nur Linderung.

 

Was verkehrt ist, wiederholt sich, unverbesserlich, und man lernt erst lesen, wenns vorbei ist. Plötzlich finde ich mich bei Howie und Homer, mein ganzes Dasein, nur besser ausgedrückt als ich das je könnte. Und besser verstanden. So viele Jahre steht das alles schon fertig da, wie eine Gebrauchsanweisung für mein Leben, jede Variante vorgekostet und dokumentiert, und erst jetzt kann ichs entziffern. So ist das also.

 

Gut, dann ist eben das das Leben. Und dann gehts genau so weiter, natürlich.

 

Ich bin grad ziemlich aus dem Spiel, und damit erfülle ich wohl die Voraussetzungen, um im Nachhinein klug und umsichtig zu sein. Jetzt kann ich der Nächste werden, der alles aufschreibt, kunstvoll vielleicht sogar, oder zumindest zeitgemäss, was mir entgegenkäme, weil man im jetzigen Jahrhundert nicht viel können muss. Ich so: Gefällt mir!

 

Anschliessend kommt dann die GELASSENHEIT, mit der ich mild lächelnd meine Umgebung betrielen werde wie mit gütiger Bassetspucke.

 

Die Gelassenheit. Der Bremsstreifen in meiner Premiumunterhose.

 

Ich hasse es, ein Automat zu sein.

 

02.

In der Pause stand ich dann da in diesem Saal, zwischen all den unzufrieden Welkenden, genau in der Mitte, wo sie jemanden mit unverständlichen Worten in den Boden versteinert haben, einen unfreundlichen Chardonnay in der Hand, und da hab ich von oben leise Deinen Erkennungspfiff gehört. Nachdem meine Augen Dich endlich gefunden hatten, zwischen den Anderen da oben hinter der Brüstung der Galerie, in dem Moment, als Du mich dann so strahlend angelächelt hast, da hab ich mir gewünscht, dass ich Dir gefalle. Dass du magst, was Du da unten siehst. Ich war auf einmal ganz unsicher deswegen. Als ich dann nach einem verlegenen Wegsehen wieder raufgeschaut hab, da war da ein leerer Platz, wo vorher Deiner war. Und da hat mich plötzlich die dumme Vorstellung eingeklemmt, Du könntest jetzt für immer weg sein.

 

03.

Beim Patienten kam es am Aufnahmetag plötzlich zum Abhusten von ca. 50 ml Blut. 1 Stunde später wiederholte sich das Ereignis und der Patient stellte sich in unserer Notaufnahme vor. Bisher habe er nie ähnliche Probleme gehabt. Der Patient ist Raucher ( kumulativer Nikotinkonsum 25 py ) und nimmt regelmässig keine Medikamention ein.

 

Entschuldigung, darf ich Sie ansprechen?

 

Ja, bitte.

 

Ich bin jetzt seit ein oder zwei Tagen hier, und ich kann nicht schlafen. Ich kann daheim nicht schlafen, und ich kann hier nicht schlafen. Ich hab Sie beobachtet. Sie haben heute nacht geschlafen, heute vormittag, und jetzt gerade schon wieder. Wie machen Sie das?

 

Da müssen Sie sich einen Bluthusten zulegen, dann können Sie gut schlafen.

 

Einen was?

 

Einen Bluthusten.

 

Was ist das?

 

Wenn Sie Blut husten. Dann haben Sie einen Bluthusten.

 

Kann man den hier kaufen?

 

Nein, Herr Baier, das war ein WITZ. Ich habe einen WITZ gemacht. Ich wollte damit sagen, dass so ein Husten sehr kraftraubend ist. Sehr erschöpfend. Und dann kann man eben auch gut schlafen, wenn man erschöpft ist.

 

Herr Felber grinst breit aus seinem Bett rüber. Die festgenähte Zunge stört ihn nur beim Sprechen, nicht beim Lachen, und er lacht gern und viel. Aber Herr Baier versteht den Witz nicht. Ausserdem wundert er sich immer noch, wie er so plötzlich aus diesem französischen Palais hierher gekommen ist.

 

Ich werd jetzt erstmal keine Scherze mehr machen, ihm gegenüber.

 

04.

 

Besieg es! Zum Geniessen gibts hier auch nicht so viel. Eigentlich. Vermutlich ist es aber sowieso nur ein blutiger Irrtum. Wie ich hier im Flur vor der Notaufnahme auf die Ergebnisse vom CT warte, den Strellsonmantel lebemannig über die Schultern gehängt, in ungewohnter Gesellschaft eines Infusionsständers, da denk ich mir, dass ich falsch fühle. Ich fühle die falschen Gefühle für jemanden, der seit einer Stunde vor einer Tür sitzt, und irgendwann kommt dann jemand aus dieser Tür, der symphatische junge Arzt vermutlich, und dann seh ich vielleicht schon in seinem Gesicht, ob es Krebs ist.

 

Das Blut, im Waschbecken, heut morgen. Ist wohl ein Aederchen geplatzt, aber besser schnell mal "Bluthusten" googlen. Die hässlichen Worte auf dem schicken Bildschirm.

 

Dann der zweite Schwall. Die Zeitlupenfahrt im Taxi, mit blutverschmiertem Küchenkrepp vor dem Mund durch den zähen Berufsverkehr. Die bleiche Arzthelferin. Die routinierte RTW-Besatzung. Die Notaufnahme der Uniklinik, endlich.

 

Patient wach, orientiert, AZ allenfalls leicht gemindert. Neuro: orientierend unauffällig. Cor: rhythmisch, rein. Lunge: seitengleich VAG. Abdomen: weich, kein DS, DG +, keine Hepatosplenomegalie. Extremitäten: warm, keine Ödeme, keine Petechien. Mund: Schleimhäute feucht, minimale Rötung der Uvula, sonst reizlos.

 

Ist schon gut, dass Sie gekommen sind, hat er gesagt, der symphatische junge Arzt mit den angstlosen Augen, und damit hat er nicht gemeint, dass er froh ist, dass seine Pejottlerin jemanden hat, an dem sie das Stechen üben kann. Sie sieht aus wie meine Nichte, und so ich bin nett und geduldig mit ihr, obwohl er jeden ihrer schmerzhaften Versuche korrigieren muss. Er selbst sticht perfekt. Mühelos dringen seine Nadeln in mich ein, liebevoll fast. Er erzeugt Schönheit, wie jeder, der seine Arbeit gekonnt und gerne macht. Zufrieden verfolgen seine Augen, wie der Zugang sich füllt. Nochmal die Blutkrusten in den Nasenlöchern ausleuchten. Er kann mich nicht recht einordnen.

 

Waren Sie in letzter Zeit in Osteuropa, Asien oder Afrika? Haben Sie heute schon was gegessen? Wir machen später noch eine Lungenspiegelung, so um fünfzehn Uhr, wenn Ihr Frühstück verdaut ist. Wir würden dann gerne auch ein paar Gewebeproben nehmen, damit wir ausschliessen können, dass, ehm...

 

Er eiert ein bisschen rum.

 

...dass es ein Tumor ist...

 

Ja, genau.

 

Ich merke, wie mein rechtes Lid kurz zuckt, als ich das Wort ausspreche.

 

Sie müssen dann hier unterschreiben, bitte.

 

Auf dem Gang dann fand ich alles ein bisschen zu dick aufgetragen. Als wäre das nicht mein richtiges Leben, sondern als würde ich mir selbst bei einem Gastauftritt in einer Krankenhausserie zusehen. Jetzt: der dramatische Moment! Aber mein Leben soll nicht dramatisch sein. Das passt nicht zu mir. Was sollte man gängigerweise denken, wenn so plötzlich im Raum steht, dass man vielleicht demnächst stirbt? Ist ausreichend vorgesorgt? Sind die Jungs gross genug, um ohne Vater in der Steppe zu überleben? Sollte schnell eine Notheirat angesetzt werden, um Erbschaftssteuer zu sparen? Absurd. Was müsste man fühlen? Angst? Ich bin aber nur leicht genervt, weil sich alles so hinzieht. Zwischendrin auch durchaus belustigt, von der Bizarrheit der Situation. Klarheit wäre schön. Planbarkeit. Die Ungewissheit ist lästig. Ansonsten gilt: wird schon hinhaun, wie immer halt.

 

Nur der Bluthusten muss nicht nochmal sein. Zu ernst für Hans im Glück.

 

05.

 

CT Thorax: CT-morphologisch ist eine Bronchiektasenbildung im Unterlappen links mit teils flüssigem Material gefüllt. Kein Hinweis auf eine Lymphadenopathie. Keine malignom-suspekte Weichgewebsvermehrung. Bronchoskopie: Keine Blutungszeichen im Bereich der oberen Atemwege. Trachea morphologisch unauffällig, geringe Mengen von älterem blutigen Sekret. Linksseitig Zeichen einer stattgehabten Blutung im Bereich des Oberlappens sowie betont im Unterlappen mit blutig tingiertem Sekret sowie kleinen Koageln. Es erfolgte die BAL zur Materialgewinnung für Virologie, Bakteriologie und Zytologie aus dem linken Unterlappen, hier finden sich weiterhin petechiale Schleimhautblutungen.

 

Was darf ich mir aussuchen? Darf ich sagen, dass ich lieber keinen Besuch haben möchte? Dass ich nicht in Euren Augen sehen möchte, wies mir geht? Nein. Das kannst Du nicht alleine entscheiden. Darf ich mir wünschen, NICHT zu wissen, was ich Samstag, Sonntag oder Montag morgens, mittags oder abends zu essen kriege? Weil ich mich lieber überraschen lassen möchte? Frau Behnde von der Menüwunscherfassung sagt nein. Sie will Planbarkeit. Und sie fürchtet, am Ende heissts noch, ich hätt Ihnen die Menükarte gar net gem.

 

Vielleicht ist Frau Behnde Gott? Hallo, ich bin Ihre Menüwunscherfassung. Was für ein Leben hättens denn gern, morgen, oder sollen wir übermorgen auch schon festlegen?

 

06.

 

Die Angst ist dann doch noch gekommen. Um zwei Uhr morgens, auf dem Gang vor dem Stationsschwesternzimmer. Das nasse Gurgeln hat mich geweckt. Ich bin in unser Gemeinschaftsklo und hab über dem Waschbecken den Auswurf angeschaut, obwohl ichs vorher schon gewusst hab. Der Blutgeschmack. Ich hatte drauf gewartet.

 

Die Nachtschwester hat das rote Schwappen in der Brechschale gesehen und die Ärztin gerufen. Auf dem Stuhl vor ihrem Zimmer gabs dann keine Kür mehr.

 

Keine Wahlmöglichkeit.

 

Nur Angst.

 

Verlaufs-CT bei erneuter Blutung: Zunehmende fleckige Verdichtungen im Segment 10 links, vereinbar mit zunehmenden diffusen Einblutungen bei Hämoptysen, DD Infiltrate.


07.

 

Schluckän!

 

Mmmmhmm.

 

Nicht ausspuckän, schluckän, Härr Baiär!

 

Mhhmmm.

 

Ässen Sie, domit Sie wiedär zu Kräftän kommän!

 

Ihh hhab heine Hähne dhin!

 

Ahch sooo. Wo sind dänn Ihrä Zähnä?

 

Im Hebäck!

 

Im Gäpäck! Dann schaun wir doch glaich amol.

 

Zwei grosse Plastiktüten, eilig vollgestopft. Find da mal das Gebiss, Schwester. Herr Baier ist gestern abend zu uns gekommen, und Marija päppelt ihn jetzt. Marija ist einer dieser Menschen, die die Welt messbar verbessern. Und Herr Baier? Herr Baier ist 89. Ein welker, hautiger Marabut mit weissem Prälatenhaar, sehr eigenartigen Hausschuhen und einer Lungenentzündung. Er ist in mehreren Wirklichkeiten zuhause, aber nicht mehr sehr in der aktuellen. Er ist der Ersatzmann für Mr. Everton, den englischen Ex-Seemann mit abfaulendem Streptokokkenunterschenkel, und für Herrn Slutny, den österreichischen Hartz4-Empfänger mit Herz5-Beschwerden. Des haaaßt siaß aof tscheechisch. I hob oba nix zum doa mit de Tscheechn. Die Zwei sind gestern entlassen worden, und dann waren der nette Herr Felber und ich erstmal alleine in unserem Saal.

 

Hundertfünfzig Quadratmeter, die Stuckdecke hoch über uns, die rossigen Landschaftsgemälde an den Wänden. Der Blick raus, durch das grosse Atelierfenster. Gelegentlich kommen unten Rettungswägen an. Sanitäter warten und rauchen. Der kleine Vorfrühlingspark, dahinter die Innenstadtallee, auf der das eigentliche Leben entfernt vorbeirauscht. Das ist jetzt die ganze Welt.

 

08.


Zytologie: Das Ausstrichbild entspricht einem nicht malignitätsverdächtigen zytologischen Befund in einer hämorrhagisch bronchiolo-alveolären Lavage. Es zeigt sich eine frische granulozytäre Entzündung. Lungenfunktion: kein Nachweis einer Restriktion oder Obstruktion. Serologischer Nachweis auf TBC-AK: negativ.

 

Gestern hat sich viel geändert, nicht nur für den Herrn Baier, und nicht nur für den Österreicher, den sie heimgeschickt haben zu seiner Tochter, der 35jährigen arbeitslosen Paläontologin, und zu seiner Frau, die seit seinem zweiten Infarkt vor vier Jahren nicht mehr mit ihm redet. Wanns drei Wurte san, in da Wochn, is füh. Das passiert offenbar öfter im Leben des Nichttschechen, dass Menschen plötzlich nicht mehr wollen, wenn es um ihn geht. I waaß net, waruum.

 

Bei der Visite am morgen war sogar der Herr Professor dabei, ein kleiner, älterer Mann mit maskuliner Stimme, edel gekleidet unter dem weissen Kittel. Mit Weste, Harris Tweed, sowas in der Art, aber fein und dunkel. Ab und zu kürzt er mal einen der ihn begleitenden Zweimeterassis ein, wie bei seinem ersten Auftritt hier, vor drei Tagen. Da war er etwas gereizt. Im Gegensatz zu da ist er heute aber Mensch. Er wendet sich sogar direkt an uns, statt mit seinem Stab vor uns über uns in der dritten Person zu sprechen. Heut ist er persönlich und verbindlich. Etwas in seiner Art weckt Vertrauen. Er strahlt diese Schamanensicherheit aus.

 

Beim Herrn Felber kann er sich kurz fassen. Es ist bösartig, unten, am Übergang von der Speiseröhre zum Magen. Vermutlich Chemotherapie, müssen wir aber noch die nähere Untersuchung abwarten, ja? Dem Herrn Felber bleibt nur, ein bisschen rot anzulaufen und zu schweigen. Bei mir ist der Professor gesprächiger. Mein Fall hat ihn genervt, das hab ich vor drei Tagen schon bemerkt. Atypisch. Hat in keine Schublade gepasst. Also: kein Tumor, kein TBC. Auch die Autoimmunerkrankungen können wir zu 99 Prozent ausschliessen. Sehr unwahrscheinlich. Alle Tests negativ. Die Ursache ist aber immer noch unklar. Gefäßanomalie? Aber Ihnen gehts ja gut, nicht wahr? Ich weiß, Bluthusten ist unangenehm, man kriegt Angst, aber bei Ihnen ist das nicht lebensbedrohlich. Linker Lungenflügel unten, keine grossen Gefässe in der Nähe. Vielleicht machen wir noch eine Endoskopie, ist aber schwierig und dauert mehrere Stunden. Alles sehr fein verästelt da unten. Vielleicht finden wir auch einfach gar nichts, und es hört von selber auf, und wir schicken Sie wieder heim? Noch ein Scherz über das Essen hier, die attraktiven Zweimetermänner ringsrum lachen erleichtert, als hätten sie selten sowas Lustiges gehört, und dann rollen sie alle wieder raus, mit ihrem fahrbaren Visitentresen.

 

Der Herr Felber schaut zum Fenster raus, damit er niemanden anschaun muss.

 

09.

 

Eine interessante Art der Welterfassung. Ich frage nicht: was und wie bist Du? Ich stelle stattdessen fest, was und wie Du nicht bist und verneine so Möglichkeiten. Du lässt mich Dein Geheimnis nicht erfahren, aber ich fixiere einfach alles aussenrum. Dann zeichnet sich etwas in der Mitte ab. Das musst Du sein: Eine umzingelte Nebelwand.

 

10.

 

Wissen Sie, wo Sie hier sind, Herr Baier?

 

Nein. Die Herren habens vorhin gesagt. In einer Klinik.

 

Wann sind Sie geboren?

 

11.12.21!

 

Was haben Sie beruflich gemacht?

 

Das ist, ähm, kompliziert. Gymnasium Traunstein. Abitur, Altgriechisch. Dann bin ich gleich eingezogen worden. Die ganzen Jahre im Krieg. Und am Ende hat mich dieser blöde Kerl noch vom Rheinland nach Berlin geschickt. Ich hab zu den Verteidigern Berlins gehört. Dann wars aus. Am 1. Juni sind wir nach Schlesien marschiert. Da war ich lange. Kohlenbergwerk. Bin ich abgehauen. Hams mich erwischt. Bin ich wieder abgehauen. Über die polnische Grenze. Bin ich durch einen See geschwommen. Dann war ich in der DDR. Da hab ich Hilfe bekommen. Bin mit dem Zug weiter zur Grenze...

 

Gut, Herr Baier. Haben Sie denn eine Frau? Kinder?

 

Nein.

 

Wir organisieren dann mal, dass Sie ein bisschen Unterstützung bekommen, daheim. Ich kümmer mich da mal drum, Herr Baier, in Ordnung?

 

In Ordnung. Kümmer Dich drum.

 

Ist besser als nicht kümmern.

 

11.

 

In der Zusammenschau gingen wir von einer entzündlichen Genese der Symptomatik aus und begannen nach Erhalt des Resistenzprofils mit einer Antibiose. Seit 4.3. kam es zu keinen erneuten Hämoptysen mehr, so dass wir den Patienten in beschwerdefreien Zustand entlassen konnten.

 

Auf der schattigen Seite der Sonnenstrasse weht der Wind kalt am Rosenmontag, wie eine frische Druckbeatmung nach zwei Wochen Klinikluft. Am Monatsanfang hab ich nichts mehr vom Leben erwartet. Vor zwei Wochen schien meine Lebenserwartung noch eine blutige halbe Stunde zu sein. Vor fünf Tagen kam ein halbes Jahr in Frage, und heute ist ein halbes Leben möglich. Ich werd schaun, dass ichs mir verdien...

 

Aber jetzt hab ich nach meinem Mantel gegriffen, den Hut nicht vergessen, und die Sorgen hab ich auf der Türschwelle liegen lassen. Beim rauchenden Pförtner, wie sichs gehört.

 

Jetzt gib dem blinden Sänger ein Lied, Schwester.